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Kora Schild
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Bild vs. Text
Die faszinierende Wechselbeziehung zwischen Text und Bild ist seit Jahrhunderten ein zentrales Thema der Kunst- und Bildwissenschaften. Die Vorstellung, dass wir Bilder und Objekte lesen können, sowie die Fähigkeit von Texten, Bilder in unserem Geist entstehen zu lassen, sind grundlegende Fragen dieser Disziplinen. Auch wenn der Begriff „Medium“ vergleichsweise jung ist, reichen diese Theorien weit in die Vergangenheit zurück. Bereits in der Steinzeit nutzten Menschen mit ihren Höhlenmalereien das Medium Bild als Ausdrucksform. Forschungen legen nahe, dass die kognitiven Mechanismen, die für die Entstehung von Felskunst erforderlich sind, eng mit dem symbolischen Denken verknüpft sind, das auch der Sprache zugrunde liegt. So beeinflussen und ergänzen sich Bild und Text auf vielfältige Weise: Während Texte Bilder evozieren, verleihen Bilder den Worten eine visuelle Dimension.
In seinem Standardwerk „Sachwörterbuch der Literatur“ beschreibt Gero von Wilpert die Bildhaftigkeit als essenzielles Element jedes sprachlichen Kunstwerks. Er betont, dass ein literarisches Bild eine eigene Welt erschafft, die durch Sprache geformt und erlebbar wird. Besonders in der Lyrik gewinnt das Bild an Ausdrucksstärke, während es in der Erzählung durch Beschreibungen erzeugt wird.
Diese Interaktion zwischen Bild und Sprache spielt eine entscheidende Rolle in der Analyse von Kunst und Literatur, insbesondere bei künstlerischen Positionen, die medienübergreifend arbeiten. Ein beeindruckendes Beispiel dafür ist das Werk der Künstlerin Meret Oppenheim. Sie war nicht nur Malerin und Zeichnerin, sondern schuf auch Objekte, schrieb über ihre Träume, verfasste Briefe und fiktionale Texte, entwarf Schmuck sowie Mode. Ihr vielschichtiges Schaffen lädt dazu ein, die Interaktion der einzelnen Medien zu untersuchen. Doch um dies zu ermöglichen, muss zunächst der Begriff „Medium“ geklärt werden.
Gemäß Friedrich Kittler sind Medien nicht nur Werkzeuge zur Übertragung von Informationen, sondern sie formen und beeinflussen auch unser Denken und unsere Wahrnehmung. In seiner Studie „Aufschreibesysteme 1800/1900“ beschreibt er, wie Schrift und Kommunikation die Wissensproduktion in verschiedenen Epochen geprägt haben. Aufbauend auf Theorien von Marshall McLuhan zeigt er, dass Medien unsere Wahrnehmung verändern und neue Formen des Denkens ermöglichen. In Anlehnung an Michel Foucault argumentiert Kittler, dass Medien untrennbar mit Machtstrukturen verknüpft sind, da Technik, Wissen und Macht stets zusammenwirken.
Diese theoretischen Perspektiven bieten eine spannende Grundlage für die Untersuchung von Meret Oppenheims Werk. 1932 reiste sie im Alter von 18 Jahren nach Paris, um Künstlerin zu werden. Dort bewegte sie sich in den Kreisen der Surrealisten und wurde von prägenden Persönlichkeiten wie Alberto Giacometti, Hans Arp, André Breton, Marcel Duchamp, Man Ray und Max Ernst beeinflusst. Obwohl die Surrealisten ihre Kunst früh anerkannten und förderten, verweigerte sie stets eine kategorische Einordnung in diese Bewegung. Ihr Schaffen war geprägt von Unabhängigkeit und Skepsis gegenüber jeglichen kunsttheoretischen Etiketten. 1938 distanzierte sie sich bewusst von den Surrealisten, kehrte in die Schweiz zurück und versuchte, sich dort als Künstlerin zu etablieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte sie eine zunehmende Distanz zum Surrealismus fest, den sie als stagnierend und ideologisch festgefahren empfand.
Neben der Einordnung in den Surrealismus wurde Oppenheims Werk häufig auf ihr Geschlecht reduziert. Die Frage nach „weiblichem Kunstschaffen“ prägt zahlreiche Interpretationen ihrer Werke, doch eine solch binäre Betrachtung greift zu kurz. Tatsächlich verhindert sie eine adäquate Interpretation ihres künstlerischen Schaffens. Die in dieser Arbeit angewandte Methode der Formanalyse, die bisher in der Forschung kaum Beachtung fand, zeigt, dass Oppenheims Werk nicht durch die Kategorien „weiblich“ oder „männlich“ zu fassen ist. Sie selbst betonte immer wieder ihren universellen, nicht geschlechtsgebundenen Geist.


